Nr. 48 / Februar 2003
 
Bullenhaltungsgenossenschaft

Die ersten öffentlichen Maßnahmen zur Förderung der Tierzucht galten in Deutschland der Pferdezucht. In erster Linie war dies wohl bedingt durch den Bedarf des Militärs an Pferden und die Bedeutung des Pferdes als Transport- und Fortbewegungsmittel. Bereits im 17. Jahrhundert wurden die ersten Verordnungen für die Hengsthaltung erlassen. Regelungen für die Rinderzucht folgten etwa 200 Jahre später. Ein Gesetz des Landes Baden über die Haltung und Körung der Zuchtstiere stammte aus dem Jahre 1837. Bayern folgte 1888, das Rheinland Anfang der 1890er Jahre. Die Tierzucht wurde durch Landesgesetze geregelt. Dabei hatten an erster Stelle die Gemeinden für die Haltung der männlichen Zuchttiere zu sorgen.

Im Zuge der Beseitigung der Länderhoheit nach dem Jahre 1933 und der Gründung des Reichsnährstandes wurde im Jahre 1936 das Reichsgesetz zur Förderung der Tierzucht erlassen. Körämter der Landesbauernschaft nahmen die Körung der männlichen Zuchttiere vor.

Vor 1936 hielten in Wollersheim alle größeren Bauernhöfe, zu denen natürlich ein entsprechender Viehbestand gehörte, einen Zuchtbullen. Dieses Tier konnte nie lange auf einem Hof verbleiben. Nach längstens zwei Jahren wurde es verkauft. Meist hatte man einen im voraus feststehenden Käufer, der seinerseits seinen Bullen auch wieder weitergab. So verkaufte die Familie Nagelschmidt, die den Stiftshof bewirtschaftete, regelmäßig ihren Stier an das Kloster Mariawald. Kleinere bäuerliche Betriebe, die keinen eigenen Bullen besaßen, nahmen die Dienste von zur Ankörung gelangter Zuchtstiere in Anspruch. Nach einer Pressenotiz aus dem Jahre 1891 betrug das Deckgeld 50 Pfennige.

Im Zusammenhang mit der Gründung des Reichsnährstandes verboten die damaligen Machthaber die private Bullenhaltung. Es mußten Genossenschaften gegründet werden. Im allgemeinen handelt es sich bei Genossenschaften um Vereinigungen auf freiwilliger Basis. Davon konnte im vorliegenden Falle jedoch keine Rede sein. Jeder, und zwar auch der kleinste landwirtschaftliche Betrieb, und davon gab es damals in Wollersheim über fünfzig, besaß eine oder mehrere Kühe. Dadurch war jeder Bauer gezwungen, der neuen Genossenschaft beizutreten und einen Gründungsbeitrag zu leisten. Durch die Genossenschaften gewann der Staat die Kontrolle über die Kuhhaltung und damit später über die Milchablieferungsmengen. Vom Anfangskapital kaufte die Genossenschaft einen Zuchtbullen. Bald stellte sich heraus, daß ein zweiter angeschafft werden mußte. Denn in Wollersheim und Eppenich, Eppenich wurde der Genossenschaft Wollersheim zugeordnet, standen mehr als 380 Kühe.

Die Genossenschaft kaufte gekörte Tiere auf Auktionen in Krefeld, und zwar jedes Jahr einen Bullen. Da die Tiere jeweils zwei Jahre im Dorf blieben, hatte man stets einen jungen und einen etwas älteren Stier. Die beiden Vatertiere standen bei verschiedenen Landwirten. Als Entgelt bekamen die Halter ein Futtergeld von täglich l,-- RM, später wurde der Betrag auf 1,50 DM und Mitte der 1960er Jahre auf 4,-- DM erhöht. Außerdem wurde ihnen der Fleischzuwachs vergütet. Beim Kauf wogen die etwa 10 Monate alten Stiere rund 10 Zentner. Das Verkaufsgewicht lag bei ca. 25 Zentnern. Eventuelle Tierarztkosten oder Medikamente mußte der Halter bezahlen. Der Deckvorgang kostete 5,-- Mark. Zur Kontrolle erhielt die Kuh eine mit einer Nummer versehene Ohrmarke. Mittels einer Spezialzange wurde ein Ohr durchlöchert. Dann nietete man mit der gleichen Zange die Marke durch das Ohrloch fest. Wurde die Kuh nicht trächtig, konnte sie noch zweimal kostenlos vorgeführt werden. Der Stier durfte pro Tag höchstens zweimal aktiv sein.
Der Halter rechnete vierteljährlich mit der Genossenschaft ab.

Damit der Halter nicht zu sehr in seinem bäuerlichen Arbeitsablauf gestört wurde, waren die Deckzeiten festgelegt, und zwar morgens 6.00 bis 8.00 Uhr, mittags 12.00 bis 13.30 Uhr und abends je nach Jahreszeit. Allerdings hielten sich nicht alle Kuhhalter an diese Termine.
Jährlich untersuchte ein Tierarzt alle Kühe. Dadurch sollte die Übertragung von ansteckenden Krankheiten vermieden werden. Als Vergütung erhielt der Tierarzt 0,30 RM pro Kuh. Diesen Betrag forderte er bei der Genossenschaft an, die dann mit den einzelnen Bauern abrechnete. Der letzte Tierarzt, der die Reihenuntersuchungen durchführte, war Dr. Wimmers, der bis zu seinem Tode "Auf der Heide" wohnte.

Der jährliche Kauf eines Bullen scheint für die Genossenschaft eine große finanzielle Belastung gewesen zu sein. Aus den Niederschriften der Gemeinderatsitzungen ist zu entnehmen, daß sie regelmäßig Zuschüsse erhielt. So lesen wir unter dem 11. 2. 1953: "In Anbetracht der hohen Kaufsumme zur Anschaffung eines neuen Bullens, wurde auf Antrag der Bullengenossenschaft eine Summe von 200,-- DM zur Verfügung gestellt". Unter dem 25. 6. 1954 heißt es: "Einstimmig beschließt der Rat als Bezuschussung für die Beschaffung eines Bullens den im Haushaltsplan vorgesehenen Betrag von 50,-- DM der Bullengenossenschaft Wollersheim zu zahlen".

In den 1960er Jahren ging die Zahl der Milchkühe immer mehr zurück. So zählte man 1967 in Wollersheim nur noch 145 Tiere. Die Genossenschaft konnte nicht mehr wirtschaftlich arbeiten. Dazu setzte sich die künstliche Besamung immer mehr durch. Letztmalig beschloss der Gemeinderat am 29.6.1965: "Der Rat beschließt einstimmig, an die Bullengenossenschaft zu Händen des Vorsitzenden Josef Fuß, Wollersheim, Lehmgasse, einen einmaligen Betrag von 500, - DM als Zuschuss für die Vatertierhaltung zu zahlen. Mit dieser Zahlung sind sämtliche Anträge der Genossenschaft auch für die kommende Zeit als abgegolten zu betrachten." Zwei Jahre danach löste sich die Bullenhaltungsgenossenschaft auf. Das letzte Vatertier stand im Stall von Josef Blum. Dem letzten Vorstand gehörten an: Josef Fuhs (Vorsitzender), Alois Pütz (Schriftführer), Wilhelm Nagelschmidt, Johann Eckstein.




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