Nr. 55 / Juli 2007
 
Deutsche Kriegsgefangene räumten Minen 
(von Hans Henn)

Vor 60 Jahren war noch auf schwarzen Schildern mit roter Aufschrift zu lesen "Danger mines" und darunter das deutsche Wort "Minen". Diese gefährliche Hinterlassenschaft der Deutschen und Amerikaner galt es zu beseitigen. Zunächst
bargen amerikanische Truppen einen Teil der Sprengkörper. Später mussten frühere Parteigenossen Munition einsammeln, und zuletzt erschienen Minenräum- kompanien. Aus dem Kreis der Kriegsgefangenen, die für eine Entlassung keine Heimatadresse angeben konnten oder wollten, bildeten die Engländer Kampf- mittelräumeinheiten.
Der ehemalige Minenräumer Gert Posnien besuchte am 12. August 2006 Wollersheim noch einmal. Er berichtete detailliert über seinen Aufenthalt im Dorf. Weitere Auskünfte gab uns der ehemalige Minensucher Reinhard Lorenz. Die fundiertesten Informationen durften wir dem Tagebuch des Oberstleutnants Kurt Weber entnehmen, das uns seine Tochter, Frau Erna Moskal, dankenswerter- weise zur Verfügung stellte.
Oberstleutnant Kurt Weber hatte sich aus dem Kriegsgefangenenlager freiwillig für diese Arbeit gemeldet und wurde Chef der „Mine Clearance Service Group 952", die aus 350 Mann bestand. Die Dienstgruppe wurde am 21. April 1947 aus dem Raum Hannover nach Krefeld verlegt. Hier begann die Ausbildung. Herr Posnien, der in Holland in Kriegsgefangenschaft geraten war, nahm an dem Kurzlehrgang für Munitionsbeseitigung teil. Herr Lorenz kannte als Pionier den künftigen Aufgabenbereich, er stieß erst am Ende der Ausbildung zu der Gruppe. Am 19. Mai erfolgte die Verlegung in die Eifel. Die Minensuchtruppe war eingeteilt in Stab und vier Züge. Stab und I. Zug unter Führung von Oberleutnant Horst von Wachenhausen kamen nach Wollersheim. Der Stab zog in die Schule. Die etwa 25 Mann des I. Zuges erhielten Quartier im Saale Tollmann (heute "Zur Voreifel"). Die anderen Züge verteilte man auf die Ortschaften Muldenau (Saal Becker), Embken (Saal Dahmen) und Hergarten (Schule und Saal Lauterbach). Im Saale Tollmann wurden Feldbetten aufgeschlagen. Ein eigener Koch bereitete in einer Laube im Hof der Gaststätte die Speisen zu. Die Verpflegung war sehr gut und reichlich.

Die Aufgabe der Minenräumer bestand im Aufspüren und Entfernen von Munition. Dafür stellten die Engländer ihre Suchgeräte zur Verfügung. Trotzdem blieb der Dienst eine Arbeit auf Leben und Tod. Das unter der Bezeichnung "Operation Tappet" ausgewiesene Areal erstreckte sich von Vossenack über Urfttalsperre und Froitzheim bis Odendorf. Das Hauptarbeitsgebiet der Minensucher lag natürlich im Hürtgenwald. Zu den Einsatzorten wurden sie mit englischen Lastkraftwagen gebracht. Die Fahrzeuge standen im Hof der Familie Peter Nagelschmidt (Stiftshof).
Neben der Minenräumung betrachtete Oberstleutnant Weber als besonders wichtige Aufgabe das Auffinden von gefallenen deutschen Soldaten. Von 23 Verstorbenen konnte er die Angehörigen ermitteln und ihnen die Todesbenachrichtigung überbringen.
Fanden die Minensucher einen gefallenen Engländer, musste Herr Weber sofort seine übergeordnete Stelle in Aachen Nr. l Mine Clearance Office H. Q. Britisch-Troops l. Belg. Corps Area anrufen und den Fundort bezeichnen. Diese ließ die Verstorbenen durch Engländer abholen. Die Männer, die den Toten gefunden hatten, bekamen eine gute Belohnung, 200 Zigaretten und anderes.
Der Status der Minensucher war mehrdeutig. Einerseits galten sie als Kriegsgefangene, andererseits erfolgte eine Bezahlung als Spezialarbeiter mit Gefahrenzulage durch das 30. German Audit-Office in Lüneburg. Sie trugen feldgraue Blousons ähnlich der englischen Militäruniformen und graue Hosen. Im Umkreis von 10 Km, das aber niemand überwachte, konnten sie sich frei bewegen und private Kontakte pflegen. Örtliche Familien luden die Männer an Sonn- und Feiertagen zum Essen ein. Dazu hatte Pfarrer Helmich die Dorfbevölkerung aufgerufen. Zwischen den Dorfjungen und den Minensuchern entwickelten sich Freundschaften, und am Wochenende zog man gemeinsam über die Lande. Es wurde zusammen Fußball gespielt. Für Auswärtsspiele stellte die Einheit ihre Lastwagen zur Verfügung und transportierte die Wollersheimer Elf in die umliegenden Orte. Bei handgreiflichen Auseinandersetzungen, wie bei einer Schlägerei auf dem Sportplatz Disternich, wirkten die Minenräumer tatkräftig mit und verteidigten "ihre Mannschaft". Das Verhältnis zwischen der Truppe und der Wollersheimer Bevölkerung war freundschaftlich und unproblematisch.
Lediglich über einen unerfreulichen Vorfall gilt es zu berichten. Einer der jungen Männer aus der Einheit vergriff sich an einem Mädchen, das in Wollersheim als Haushaltshilfe tätig war.
Seine "Kollegen" hielten in einer Art Selbstjustiz Gericht über ihn, nachdem die junge Frau ihn identifiziert hatte. Sie banden ihn an einen Gittermast in der Nähe des Saales vor der Gaststätte Tollmann. Dann hingen sie ihm noch ein Schild mit der Aufschrift "Ich bin ein Schwein" um. Danach wanderte er in die Arrestzelle des Spritzenhauses. Herr Posnien und andere Minensucher bewachten ihn abwechselnd. Was später mit dem Bösewicht geschah, ist nicht mehr zu ermitteln.

In der damaligen Zeit waren Kraftstoffe, Autoreifen und Werkzeuge Mangelware. Die Engländer belieferten die Minensuchtruppe großzügig. Betankt wurden die Wagen an deutschen Tankstellen in Köln, Bonn oder Aachen, und das geschah wohl sehr oft. Durch die gute Versorgung bzw. Überversorgung ließ sich ein schwunghafter Tauschhandel betreiben.
Am 23. Juli 1947 konnte Oberstleutnant Weber den Abschluss der Minen- arbeiten in Aachen melden. Die offizielle Abschiedsfeier fand am 9. August 1947 in einem Saale in Sinzenich mit Essen, Starkbier und 20 englischen Zigaretten für jeden statt.
Herr Posnien erhielt in der Riemann-Kaserne Düren seine Entlassungsurkunde zum 31. Juli 1947. Im Laufe des August entließen die Engländer die übrigen Minenräumer. Für die Letzten endete die Kriegsgefangenschaft am 28. August 1947
Vor dem Mineneinsatz betrachteten sich die Männer als Himmelfahrtskommando. Die Einstellung änderte sich im Laufe der Wochen. Zum Schluss waren sie stolz auf die geleistete Arbeit, hatten sie doch in kurzer Zeit ca. 2.000 Minen unter Einsatz ihres Lebens unschädlich gemacht und rund 13 Millionen Quadratmeter an Ackerland und Wald von Sprengkörpern befreit. Herrn Weber war es durch seine Umsicht und seinen eigenen Einsatz an besonders gefährlichen Stellen zu verdanken, dass bei der Arbeit niemand zu Tode gekommen war.





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