100 Jahre Saal
Düster / Stupp / Rick/ Bürgerhaus
Am 6.5.1900 erschien in der Presse die folgende Anzeige:
Nach einem Inserat vom 7.Mai 1899 wurde die Kirmes noch
im "Riesenzelte"
gefeiert. Der Saal des heutigen Bürgerhauses wird somit jetzt 100
Jahre alt.
"Der Königliche Landrath des Kreises Düren ertheilte am
21. März 1893
dem Johann Düster jun. in Wollersheim die Erlaubniß, in dem Wohnhause
Nr. 62a der Gemeinde Wollersheim eine Gastwirtschaft zu betreiben".
Wenige Jahre danach dürfte die Familie Düster mit dem Bau des Saales
begonnen haben. Die alten Baupläne liegen nicht mehr vor. Tatsache ist
aber, daß der Saal sein Gesicht im Laufe der Jahrzehnte grundlegend
änderte. Durch Um- und Anbauten wurde er ständig den wechselnden
Erfordernissen angepaßt. Dadurch spiegelt er auch einen Teil der
Dorfgeschichte der letzten 100 Jahre wieder.
Wollersheimer Gaststätten boten schon früh begrenzte
Räumlichkeiten für
gesellige Veranstaltungen, so in einem Sälchen im Stiftshof oder bei
Heinrich Eckstein (heute Zuckerstraße 2). Nach alten Zeitungsanzeigen
wurde Kirmes jedoch im Zelte gefeiert, und zwar in Abhängigkeit vom
Feste
Kreuzauffindung Anfang Mai (3. Mai). Dieser Termin hat sich bis heute
erhalten.
Mit dem Bau des Saales bot die Familie Düster für die gesamte
Dorfbevölkerung die Möglichkeit, in angemessenem Rahmen die Kirmes
abzuhalten.
Der Saal verfügte schon damals über eine Bühne, die allerdings nur eine
geringe Tiefe hatte. Bei Tanzveranstaltungen saßen die Musiker auf
einer
Empore über der Eingangstür. Diese Empore wurde etwa 1972 entfernt.
Mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges fanden die
geselligen
Veranstaltungen ein vorläufiges Ende. In den Kriegsjahren wurde der
Saal
mit russischen Kriegsgefangenen belegt.
Nach Kriegsende bildeten sich in Wollersheim mehrere Vereine. 1919
wurde die Katholische Jugendvereinigung gegründet. Ein Teil der Gruppe
widmete sich dem Theaterspiel. 1925 gründeten 20 Dorfbewohner einen
Mandolinenclub. Innerhalb der freiwilligen Feuerwehr entstand etwa 1926
eine Schalmeiengruppe. Anfang des Jahres 1931 ging aus dem Musikzug
der Feuerwehr der Spielmannszug "Edelweiß" hervor. Alle diese Vereine
präsentierten ihr Können im Saale, sie spielten Theater, gaben Konzerte
oder hielten ihre Vereinsfeste darin ab.
Ab 1938 stand der Saal nicht mehr für dörfliche
Veranstaltungen zur
Verfügung. Die Organisation Todt, die den Bau des Westwalls betrieb,
mietete den Saal an. Sie brachte darin Arbeiter unter, die täglich mit
Omnibussen zu den Baustellen in der Eifel transportiert wurden.
Der Saal und das Umfeld waren natürlich nicht für die Versorgung vieler
Menschen eingerichtet. Im Viehstall wurde ein Raum abgeteilt und darin
Waschgelegenheiten installiert. Vor dem Saale baute man eine
Holzbaracke, die als Küche diente. Darin arbeitete ein Koch und Frau
Katharina Breuer aus Wollersheim als Hilfe.
Nach dem Abzug der Westwallarbeiter stand der Saal leer.
Genutzt wurde
er erst wieder ab Mitte 1944., und zwar jetzt durch die Wehrmacht als
Verpflegungsdepot. In der vorgebauten Holzbaracke lebten ab 1943 die
Schwägerinnen Margarethe und Wilhelmine Schmitz mit ihren Kindern.
Wegen der ständigen Bombenangriffe hatten die beiden Frauen Essen
verlassen und in Wollersheim eine neue Bleibe gefunden. Die Ehemänner
waren dienstverpflichtet bzw. an der Front.
Wie fast alle Gebäude des Dorfes wurde auch die
Pfarrkirche in den letzten
Kriegsmonaten durch Artilleriebeschuß so stark beschädigt, daß sie
nicht
mehr benutzt werden konnte. Gottesdienste fanden deshalb zunächst im
Pfarrheim und später in einem Klassenraum der Schule statt.
Ab Mitte Mai 1945 kehrten immer mehr Wollersheimer aus der Evakuierung
zurück. Der Schulraum faßte daher bald nicht mehr alle
Gottesdienstbesucher. Bei der Suche nach einem geeigneten Raum bot
sich der Saal der Familie Stupp an. Allerdings wies auch er
Kriegsschäden
auf, insbesondere fehlten Dachziegel. Es regnete an vielen Stellen
durch.
Der damalige Amtsdirektor Bojus besorgte Ziegel und ordnete an, daß
ehemalige Parteigenossen den Saal in Ordnung zu bringen hatten. Bänke
und einen Beichtstuhl holte man aus der Pfarrkirche. Als Ersatz für die
Orgel diente ein Harmonium. Der Altar stand auf der Bühne. Die
Sakristei
wurde im unteren Bereich der Kegelbahn eingerichtet.Im Winter spendete
ein mit Holz und Brikett befeuerter Ofen Wärme. Ab August 1945 fanden
im
Saale die Gottesdienste statt. Die Erstkommunion des Jahres 1945 wurde
am 19.August gefeiert.
Etwa 3 Jahre dauerten die Reparaturarbeiten an der
Pfarrkirche. Am
31.7.1948 konnte die Notkirche wieder verlassen werden. Pfarrer Helmich
brachte das Allerheiligste in einer Prozession, an der fast die gesamte
Dorfbevölkerung teilnahm, vom Saale in die Neue Kirche.
Im August 1948 zogen die örtlichen Vereine wieder in den
Saal. Der l947
gegründete Tischtennisverein wechselte vom Saale Tollmann in den Saal
der Familie Stupp. Für den Spielbetrieb benötigte der Verein die volle
Breite
des Raumes. Dabei störte die Kegelbahn. Sie wurde 1959 entfernt.
Das durch den Krieg unterbrochene Theaterspiel lebte
wieder auf. Wie
bereits erwähnt, war die Bühne für Theateraufführungen etwas zu eng.
Der
Saal wurde daher 1958 um eine größere Bühne erweitert. Die Bühne lag
jetzt über dem Rübenkeller, der auch weiterhin als solcher genutzt
wurde.
Das bedeutete, daß beim Theaterspiel der Souffleur mit seinem
Behelfssitz
auf den Rüben saß. Das ging auch eigentlich ganz gut. Allerdings
passierte
es dann doch während einer Theateraufführung, daß die Rüben ins
Rutschen gerieten und den soufflierenden Josef Fuhs mit sich nahmen.
Zwangsläufig mußte die Vorstellung unterbrochen werden, bis der
Souffleur
wieder seinen Platz eingenommen hatte.
Im Jahre 1972 baute die Familie Rick einen Thekenraum und Toiletten an.
Bis dahin stand die Theke im Saale, und Toiletten befanden sich in
einem
separaten Gebäude rechts vor dem Saale.
1992 trug sich die Familie Rick mit dem Gedanken, aus
Altersgründen die
Gaststätte zu verpachten. Damit bestand die Gefahr, daß der Dorfsaal
den
örtlichen Vereinen verlorenging. Insbesondere auf Initiative des
Tischtennisvereins
und nach vielen Vorgesprächen mit dem Gastwirt und innerhalb der
Dorfvereine beschloß der Stadtrat von Nideggen, den Saal langfristig
anzumieten
und an die Dorfgemeinschaft unterzuvermieten. Durch Umbau sollte
ein Bürgerhaus entstehen. Zunächst waren Bebauungspläne zu ändern,
Planungsaufträge zu erteilen und Landesbeihilfen zu beantragen. Wegen
der Landeszuschüsse im Rahmen der Städtebauförderung durften die
Gesamtbaukosten
bestimmte Höchstsätze nicht überschreiten. Das kollidierte
jedoch mit den Wünschen der Dorfvereine. Nur durch erhebliche
Eigenleistungen
konnten die gesteckten Ziele erreicht werden. Diesen Umstand
berücksichtigte
das Architekturbüro Daheim bei seiner Planung.
Am 16. April 1993 machten sich die freiwilligen Helfer an die Arbeit.
Sie sanierten
zunächst das Dach. Dann zogen sie einen Anbau vor dem Saale
hoch, in dem sich jetzt im Obergeschoss ein Gesellschaftsraum für 60
Personen
und eine Küche befinden. Die Sportler erhielten in einem weiteren
Anbau Dusch- und Umkleideräume. Der Geschichtsverein bekam einen
Raum für sein Archiv. Eine neue Heizung ging in Betrieb. Toiletten und
Elektroanlagen wurden erneuert. Nachdem Fenster und Türen eingesetzt
waren, erhielt der Saal einen neuen Anstrich.
Bei der Gestaltung des Bürgerhauses leisteten 69 Männer einen
freiwilligen
Arbeitseinsatz von rund 6.400 Stunden. Durch diese ungewöhnlich hohe
Eigen- leistung
der Dorfgemeinschaft konnte der vorgegebene Kostenrahmen
von 490.000 DM eingehalten werden. Die Landesbeihilfe belief sich auf
392.000 DM. Den Rest brachte die Stadt auf.
Nach rund zweijähriger Bauzeit wurde das Bürgerhaus zur Kirmes 1995
eingeweiht.
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