Nr. 43 / April 2000

100 Jahre Saal
Düster / Stupp / Rick/ Bürgerhaus

Am 6.5.1900 erschien in der Presse die folgende Anzeige:




Nach einem Inserat vom 7.Mai 1899 wurde die Kirmes noch im "Riesenzelte" gefeiert. Der Saal des heutigen Bürgerhauses wird somit jetzt 100 Jahre alt.

"Der Königliche Landrath des Kreises Düren ertheilte am 21. März 1893 dem Johann Düster jun. in Wollersheim die Erlaubniß, in dem Wohnhause Nr. 62a der Gemeinde Wollersheim eine Gastwirtschaft zu betreiben". Wenige Jahre danach dürfte die Familie Düster mit dem Bau des Saales begonnen haben. Die alten Baupläne liegen nicht mehr vor. Tatsache ist aber, daß der Saal sein Gesicht im Laufe der Jahrzehnte grundlegend änderte. Durch Um- und Anbauten wurde er ständig den wechselnden Erfordernissen angepaßt. Dadurch spiegelt er auch einen Teil der Dorfgeschichte der letzten 100 Jahre wieder.

Wollersheimer Gaststätten boten schon früh begrenzte Räumlichkeiten für gesellige Veranstaltungen, so in einem Sälchen im Stiftshof oder bei Heinrich Eckstein (heute Zuckerstraße 2). Nach alten Zeitungsanzeigen wurde Kirmes jedoch im Zelte gefeiert, und zwar in Abhängigkeit vom Feste Kreuzauffindung Anfang Mai (3. Mai). Dieser Termin hat sich bis heute erhalten.
Mit dem Bau des Saales bot die Familie Düster für die gesamte Dorfbevölkerung die Möglichkeit, in angemessenem Rahmen die Kirmes abzuhalten.
Der Saal verfügte schon damals über eine Bühne, die allerdings nur eine geringe Tiefe hatte. Bei Tanzveranstaltungen saßen die Musiker auf einer Empore über der Eingangstür. Diese Empore wurde etwa 1972 entfernt.

Mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges fanden die geselligen Veranstaltungen ein vorläufiges Ende. In den Kriegsjahren wurde der Saal mit russischen Kriegsgefangenen belegt.
Nach Kriegsende bildeten sich in Wollersheim mehrere Vereine. 1919 wurde die Katholische Jugendvereinigung gegründet. Ein Teil der Gruppe widmete sich dem Theaterspiel. 1925 gründeten 20 Dorfbewohner einen Mandolinenclub. Innerhalb der freiwilligen Feuerwehr entstand etwa 1926 eine Schalmeiengruppe. Anfang des Jahres 1931 ging aus dem Musikzug der Feuerwehr der Spielmannszug "Edelweiß" hervor. Alle diese Vereine präsentierten ihr Können im Saale, sie spielten Theater, gaben Konzerte oder hielten ihre Vereinsfeste darin ab.

Ab 1938 stand der Saal nicht mehr für dörfliche Veranstaltungen zur Verfügung. Die Organisation Todt, die den Bau des Westwalls betrieb, mietete den Saal an. Sie brachte darin Arbeiter unter, die täglich mit Omnibussen zu den Baustellen in der Eifel transportiert wurden.
Der Saal und das Umfeld waren natürlich nicht für die Versorgung vieler Menschen eingerichtet. Im Viehstall wurde ein Raum abgeteilt und darin Waschgelegenheiten installiert. Vor dem Saale baute man eine Holzbaracke, die als Küche diente. Darin arbeitete ein Koch und Frau Katharina Breuer aus Wollersheim als Hilfe.

Nach dem Abzug der Westwallarbeiter stand der Saal leer. Genutzt wurde er erst wieder ab Mitte 1944., und zwar jetzt durch die Wehrmacht als Verpflegungsdepot. In der vorgebauten Holzbaracke lebten ab 1943 die Schwägerinnen Margarethe und Wilhelmine Schmitz mit ihren Kindern. Wegen der ständigen Bombenangriffe hatten die beiden Frauen Essen verlassen und in Wollersheim eine neue Bleibe gefunden. Die Ehemänner waren dienstverpflichtet bzw. an der Front.

Wie fast alle Gebäude des Dorfes wurde auch die Pfarrkirche in den letzten Kriegsmonaten durch Artilleriebeschuß so stark beschädigt, daß sie nicht mehr benutzt werden konnte. Gottesdienste fanden deshalb zunächst im Pfarrheim und später in einem Klassenraum der Schule statt.
Ab Mitte Mai 1945 kehrten immer mehr Wollersheimer aus der Evakuierung zurück. Der Schulraum faßte daher bald nicht mehr alle Gottesdienstbesucher. Bei der Suche nach einem geeigneten Raum bot sich der Saal der Familie Stupp an. Allerdings wies auch er Kriegsschäden auf, insbesondere fehlten Dachziegel. Es regnete an vielen Stellen durch. Der damalige Amtsdirektor Bojus besorgte Ziegel und ordnete an, daß ehemalige Parteigenossen den Saal in Ordnung zu bringen hatten. Bänke und einen Beichtstuhl holte man aus der Pfarrkirche. Als Ersatz für die Orgel diente ein Harmonium. Der Altar stand auf der Bühne. Die Sakristei wurde im unteren Bereich der Kegelbahn eingerichtet.Im Winter spendete ein mit Holz und Brikett befeuerter Ofen Wärme. Ab August 1945 fanden im Saale die Gottesdienste statt. Die Erstkommunion des Jahres 1945 wurde am 19.August gefeiert.

Etwa 3 Jahre dauerten die Reparaturarbeiten an der Pfarrkirche. Am 31.7.1948 konnte die Notkirche wieder verlassen werden. Pfarrer Helmich brachte das Allerheiligste in einer Prozession, an der fast die gesamte Dorfbevölkerung teilnahm, vom Saale in die Neue Kirche.

Im August 1948 zogen die örtlichen Vereine wieder in den Saal. Der l947 gegründete Tischtennisverein wechselte vom Saale Tollmann in den Saal der Familie Stupp. Für den Spielbetrieb benötigte der Verein die volle Breite des Raumes. Dabei störte die Kegelbahn. Sie wurde 1959 entfernt.

Das durch den Krieg unterbrochene Theaterspiel lebte wieder auf. Wie bereits erwähnt, war die Bühne für Theateraufführungen etwas zu eng. Der Saal wurde daher 1958 um eine größere Bühne erweitert. Die Bühne lag jetzt über dem Rübenkeller, der auch weiterhin als solcher genutzt wurde. Das bedeutete, daß beim Theaterspiel der Souffleur mit seinem Behelfssitz auf den Rüben saß. Das ging auch eigentlich ganz gut. Allerdings passierte es dann doch während einer Theateraufführung, daß die Rüben ins Rutschen gerieten und den soufflierenden Josef Fuhs mit sich nahmen. Zwangsläufig mußte die Vorstellung unterbrochen werden, bis der Souffleur wieder seinen Platz eingenommen hatte.
Im Jahre 1972 baute die Familie Rick einen Thekenraum und Toiletten an. Bis dahin stand die Theke im Saale, und Toiletten befanden sich in einem separaten Gebäude rechts vor dem Saale.

1992 trug sich die Familie Rick mit dem Gedanken, aus Altersgründen die Gaststätte zu verpachten. Damit bestand die Gefahr, daß der Dorfsaal den örtlichen Vereinen verlorenging. Insbesondere auf Initiative des Tischtennisvereins und nach vielen Vorgesprächen mit dem Gastwirt und innerhalb der Dorfvereine beschloß der Stadtrat von Nideggen, den Saal langfristig anzumieten und an die Dorfgemeinschaft unterzuvermieten. Durch Umbau sollte ein Bürgerhaus entstehen. Zunächst waren Bebauungspläne zu ändern, Planungsaufträge zu erteilen und Landesbeihilfen zu beantragen. Wegen der Landeszuschüsse im Rahmen der Städtebauförderung durften die Gesamtbaukosten bestimmte Höchstsätze nicht überschreiten. Das kollidierte jedoch mit den Wünschen der Dorfvereine. Nur durch erhebliche Eigenleistungen konnten die gesteckten Ziele erreicht werden. Diesen Umstand berücksichtigte das Architekturbüro Daheim bei seiner Planung.
Am 16. April 1993 machten sich die freiwilligen Helfer an die Arbeit. Sie sanierten zunächst das Dach. Dann zogen sie einen Anbau vor dem Saale hoch, in dem sich jetzt im Obergeschoss ein Gesellschaftsraum für 60 Personen und eine Küche befinden. Die Sportler erhielten in einem weiteren Anbau Dusch- und Umkleideräume. Der Geschichtsverein bekam einen Raum für sein Archiv. Eine neue Heizung ging in Betrieb. Toiletten und Elektroanlagen wurden erneuert. Nachdem Fenster und Türen eingesetzt waren, erhielt der Saal einen neuen Anstrich.
Bei der Gestaltung des Bürgerhauses leisteten 69 Männer einen freiwilligen Arbeitseinsatz von rund 6.400 Stunden. Durch diese ungewöhnlich hohe Eigen- leistung der Dorfgemeinschaft konnte der vorgegebene Kostenrahmen von 490.000 DM eingehalten werden. Die Landesbeihilfe belief sich auf 392.000 DM. Den Rest brachte die Stadt auf.
Nach rund zweijähriger Bauzeit wurde das Bürgerhaus zur Kirmes 1995 eingeweiht.




Download