Nr. 50 / November 2003
 
Kardenanbau um 1850

An Waldrändern, am Ufer von Bächen oder auf anderen unbebauten Flächen, so z.B. entlang der B 265 in der Gemarkung „Im Äcker­chen“ findet man eine selten gewordene Pflanze mit lilafarbigen Blütenköpfen. Sie wird bis zu zwei Meter hoch und entwickelt sich zu einem stacheligen Gesellen. Wir sprechen von der Wilden Karde.

Eine nahe Verwandte ist die hellviolett bis rot blühende Weber­karde. Sie hat hakenförmige Stacheln. Man brauchte sie früher unbedingt zum Aufrauen mancher Wollstoffe. Aber auch heute stellt sie ein in der Tuchindustrie nicht ganz zu ersetzendes Raumittel dar.

Von den getrockneten Kardenköpfen werden Spitze und Stielende so beschnitten, dass sie eine ungefähr zylindrische Form er­halten. Sie werden zu zweien und dreien auf eine Spindel gesteckt. So entsteht eine kleine Rauwalze. Mehrere dieser Walzen ergeben durch Zusammenfassung einen sogenannten Kardenstab, der dann in eine Raumaschine eingesetzt wird.



Rollkardenspindel

Bis in die 1960er Jahre existierten in Düren, Euskirchen, aber vor allen Dingen in Aachen und Monschau große Tuchfabriken. Die Tuchindustrie von Aachen und Monschau bezog ursprünglich die Weberkarden aus Südfrankreich. Aber bereits Ende des 18. Jahrhunderts wurden Weberkarden auch im Raume Aachen angebaut. Um 1840 gelangten sie dann in unsere Gegend.

Zunächst waren die Landwirte skeptisch. Aber schon bald zeigte sich, dass die Karde auf mittleren Böden gut gedieh, und man damit viel Geld verdienen konnte. Allerdings waren Anbau und Verarbeitung mühevoll.

Die Aussaat erfolgte Anfang März. Im Juli oder August mussten die Pflanzen ins freie Feld, etwa 50 cm auseinander, umgepflanzt werden. Dort überwinterten sie. Die Karden waren von Unkraut freizuhalten und mit Spaten oder Hacke anzuhäufeln. Mitte des zweiten Sommers stand dann das Kardenfeld in Blüte. Unmittelbar nach der Blütezeit begann der Schnitt der hakenstacheligen Köpfe. Dafür brauchte man Lederhandschuhe. Die Köpfe wurden abgeschnitten, und zwar mit einem etwa 10 cm langen Stängel. Infolge der vielen Seitentriebe stand nicht die gesamte Pflanze in Blüte. Für die später aufgehenden Blütenköpfe war ein zweiter oder dritter Schnitt erforderlich.



An regenreichen und anderen arbeitsarmen Tagen oder am Abend beim Schein der Petroleumlampe saß die ganze Familie beisammen und zog mit einer großen Stopfnadel Schnüre durch die Blüten­stiele. Die dünnen Kordeln heißen daher auch heute bei uns noch Kateköenche. 100 große oder 200 kleine Karden kamen auf eine Schnur. 20 Schnüre nannte man eine Scheibe.

Die aufgereihten Karden wurden in Scheunen, Toreinfahrten oder dem Speicher zum Trocknen aufgehängt. Noch heute findet man bei alten Bauernhöfen die inzwischen verrosteten langen Nägel unter dem Dach oder der Suus (Tenne).

Der Kardenanbau war zwar arbeitsintensiv und wegen der Stacheln unangenehm, aber sehr rentabel. Durch den Krieg mit Frankreich 1870/71 stockte während der Kämpfe und auch eine gewisse Zeit danach der Kardenimport aus Frankreich. Die Preise für die einheimischen Pflanzen zogen stark an. Mit einem Morgen Land konnte man 700 - 750 Mark erwirtschaften. Das war für die damalige Zeit ungeheuer viel Geld. Einige Bauern gelangten damit zu Wohlstand.

Fuhrunternehmer brachten die Karden auf von Pferden gezogenen Leiterwagen zu den Tuchfabriken. Auch sie verdienten viel Geld und waren mit den Transporten gut beschäftigt. In Embken soll es einen Fuhrmann, Theodor Pütz, gegeben haben, der so oft Transporte ausführte, dass er die Anzahl der Radumdrehungen bis Aachen kannte.

Die goldene Zeit des Kardenanbaus dauerte für die hiesige Gegend nur etwa 40 bis 50 Jahre. Mitte der 1880er Jahre ging sie allmählich zu Ende. Unter dem 23.7.1890 fanden wir letztmalig eine Zeitungsanzeige mit folgendem Wortlaut:



Starke Kardenpflanzen
zu haben bei
Balth. Schumacher, Zülpich



Die Weberkarde wurde weitgehend durch Metallkratzenwalzen bzw. Kratzenrau- maschinen ersetzt.



Download