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In unseren
Geschichtsblättern behandelten wir bisher
Themen, für die konkrete Unterlagen zur Verfügung standen.
Davon wollen wir heute einmal abweichen, weil wir
die folgende Geschichte sehr amüsant fanden und sie einen
realen Hintergrund haben könnte. Jedenfalls hat der
Verfasser die Örtlichkeit absolut zutreffend beschrieben.
Herr Rechtsanwalt Ulrich Hansen aus Köln ließ uns dankenswerterweise
den Zeitungsartikel zukommen. Bei
dem in der Ereignisschilderung erwähnten Vogt Trimborn
handelt es sich um den Urururgroßvater des Herrn Hansen.
Karl Caspar Rudolf Trimborn (* 1734, + 1806) war
von 1762 bis 1794 Vogt des Ober- und Niederamtes Nideggen
und wohnte auf der Wildenburg in Bürvenich.
Der von Heinrich Heisenberg verfasste Bericht erschien
am 14.9.1937 im Berliner Tageblatt Nr. 343:
Hundeschlittenrennen um 1780
Die drei vornehmen Herren saßen wieder einmal beim
Abtrunk nach einer erfolgreichen Sauhatz beisammen.
Das war auch in diesem Winter eine rechte Plage mit
den Wildsauen, die mit dem Schnee aus den Eifelwäldern
herab ins Vorland gekommen waren, wo der Hunger sie allnächtlich bis an
die Rübenmieten vor den Dörfern
trieb. Die Hunde hatten einen schweren Tag hinter
sich und jetzt flegelten sie sich müde und abgekämpft
draußen in der Leuteküche um den offenen Kamin.
In der Herrenstube ging die Unterhaltung um die Geschehnisse
dieses Jagdtages und blieb zuletzt an den
Hunden hängen, denen der größere Teil der heutigen
Jagderfolge zu verdanken war.
Der rote Maubacher, der an den letzten Berghängen des
Rurtales wuchs, hatte seine Aufgabe des Wiederauftauens
der kältesteifen Gliedmassen längst erfüllt. Aber die
Herren tranken wacker weiter und waren so allmählich in
jenen Zustand munterer Unternehmungslust hineingeraten,
in dem der junge Graf von Nesselrode Gott und die
halbe Welt zu einer seiner ausgefallenen Wetten herauszufordern
liebte.
Diesmal war es ihm gelungen, sogar den gestrengen
Vogt Trimborn von Nideggen in eine Wette zu verstricken.
Die ging um die Schnelligkeit ihrer Hunde, und
nach einigem Hin und Her über die beste Art, wie die geschwindesten
Tiere festzustellen seien, war man übereingekommen,
ein jeder möge seine drei stärksten und
schnellsten Hunde vor einen leichten Schlitten spannen
und sie so auf einer bestimmten Strecke die Behendigkeit
ihrer Beine und die Ausdauer ihrer Lungen dartun
lassen.
Der Baron von Kolff, der drunten im Rurtal auf seiner behäbigen
Wasserburg saß sollte das Schlittenrennen als Schiedsrichter hoch zu
Ross begleiten. Er war zunächst
zwar ein wenig erstaunt ob der Bereitwilligkeit, mit der
der vorsichtige Vogt Trimborn sich zu einer solchen Wette
mit dem jungen Wagehals bereitfand. Aber als der
Vogt dann bei der Festlegung der Rennstrecke hartnäckig
darauf bestand, dass dafür nur die Wollersheimer
Heide in Frage kommen könne, weil weit und breit kein
gleich ebenes Gelände zu finden sei, da wurde der Herr
von Kolff hellhörig. Und das noch mehr, als der Vogt sich
nicht davon abbringen liess, dass die Wettfahrt vom Zülpicher
Münstertor zum Wollersheimer Klosterhof gehen
müsse und nicht umgekehrt, wie der junge Graf Nesselrode
vorgeschlagen hatte. Aber was hinter dieser unerwarteten
Beteiligung des bedächtigen Vogts an einer solchen
Wette und noch mehr hinter seinem eigensinnigen
Festhalten an Verlauf und Ziel der Rennstrecke sich zu
verbergen schien, konnte auch der Scharfsinn des Herrn
von Kolff nicht enträtseln.
So musste denn der Stellmacher auf dem nesselrodischen
Burghof zu Thum schleunigst zwei lange leichte
Schlitten aus zähem Espenholz zusammenbauen, während
die beiden Partner dieses Wettrennens mit dem
Sattler an der Herstellung des Ledergeschirrs für das
Dreigespann der Hunde herumhantierten und die Hunde
daran gewöhnten.
Als man dann schließlich nach Tagen unter dem keifenden
Gebell der Hunde inmitten eines großen Bekanntenkreises
vor dem roten Backsteinbau des Zülpicher Stadttores
die Rennschlitten bestieg, schien den Anwesenden
der Sieg des Nesselroder Grafen eine ausgemachte Sache.
Einmal weil seine Hunde an seiner jungenhaften Schlankheit weniger zu
ziehen hatten als das andere Gespann
an der schon etwas fülligen Rundlichkeit des Vogtes.
Und dann, weil er den einen Hund als Leittier vor das
Doppelgespann der beiden anderen gespannt hatte,
während die drei Zugtiere des Gegners in einer breiten
Front vor dem Schlitten laufen sollten.
Wie dann der Vogt im letzten Augenblick auch noch einen
Sack mit unbekanntem Inhalt vor sich auf den Schlitten
nahm und damit die Last noch vergrößerte, schien
dem Nesselroder das Rennen schon gewonnen. Das
dachte auch der Herr von Kolff, der nun mit seinem
schnellsten Reitpferd neben den Schlitten durch den auf
stiebenden Schnee trabte.
Der Nesselroder überließ dem Gegner die Führung. Er
gedachte seine Tiere für den Endkampf zu schonen und
nutzte daher die Spur aus, die der Schlitten des Vogtes
vor ihm in dem weiten Schneefeld zog. Schnurgerade auf
den Wollersheimer Kirchturm zu. Das war ein prächtiges
Rennfeld, und die Hunde griffen wacker aus, so dass der
berittene Tross der neugierigen Zuschauer weit zurückfiel.
Aber auch der Vogt ließ seinem Gespann die Zügel
locker und gab sich zunächst kaum Mühe darum, wenn
er auch darauf bedacht war, dass der andere sich nicht
unversehens an die Spitze setzte.
So ging der Wettkampf ein gut Stück über die Heide, die
fast anderthalb Jahrtausend vorher der Schauplatz eines
größeren und blutigeren Ringens gewesen war, wenn die
alten Leute recht hatten: jener schicksalhaften Zülpicher
Schlacht, in der der Frankenkönig Chlodwig die Alemannen
niederzwang. Aber daran dachte wohl niemand, während die Schlitten über
das weiße Blachfeld jagten
und die Reiter weit zurückließen.
Wie die Gespanne so ziemlich den halben Weg hinter
sich gebracht hatten und der niedrige Wollersheimer
Kirchturm immer mehr aus der Bodensenkung des Dorfes
emporstieg und der Rauch aus den Höfen im schwachen
Westwind schon herüberstrich, trieb der Vogt jählings
seine Hunde an. Die Plötzlichkeit dieses Vorstoßes
vergrößerte für einen Augenblick seinen Vorsprung, und
just in diesem Augenblick riss er den Sack zwischen seinen
Beinen hervor und gab dessen Inhalt frei.
Der Baron von Kolff, der mühsam hinter dem zweiten
Schlitten galoppierte, sah von der Höhe seines Gauls herab
einen halbwüchsigen Wolf aus dem Sack purzeln,
sich im Schnee überschlagen, dann einen Augenblick in
der Blendung der weißen Fläche verweilen und nach
flüchtiger Umschau im Bogen an den Hunden vorbeifegen,
um spornstreichs mit eingekniffener Rute gen Wollersheim
zu rennen, das jaulende Hundegespann hinter
sich.
Der Schlitten des Vogts rümpelte über den knisternden
Schnee, rumpelte über Bodenwellen und Erdlöcher, immer
dichtauf hinter dem geängstigten jungen Wolf, der
seiner Heimat zujagte. Das war der Wollersheimer Klosterhof,
bei dessen Förster Vogt Trimborn sich den jungen
Wolf ausgeliehen hatte. Hier wuchs er seit seinen ersten
Lebenswochen heran, in denen der Förster den kleinen
Burschen irgendwo im Walde aufgestöbert hatte.
Trotz der unverminderten Feindschaft der Hofhunde hatte
das Tier, in dem die Erinnerung an die Freiheit der
Wälder noch nicht wach geworden sein mochte, sich an
den Klosterhof gewöhnt, dem es nun nach den bangen
Stunden der Fesselung schleunigst zustrebte, um sich
vor den Hunden in Sicherheit zu bringen.
Die setzten dem unfreiwilligen Schrittmacher mit jähaufflammender
Jagdgier nach, rissen den schwankenden
Schlitten mitsamt dem Vogt dem Dorf zu, immer ein paar
Nasenlängen hinter dem jungen Wolf, der in dem fußhohen
Schnee nicht die volle Geschwindigkeit seiner kurzen
Läufe entfalten konnte. Bis die wilde Jagd endlich im
Klosterhof zum Stehen kam, wo der Wolf sich in sein
Loch unter der Freitreppe flüchtete, in das die angeschirrten
Hunde ihm nicht folgen konnten. Sie jaulten und
heulten noch vor der Treppe, als mit einigem Abstand
auch der junge Nesselrode in den Klosterhof hineinraste
und dahinter auch der Freiherr von Kolff seinen Gaul
zum Stehen brachte.
Das Gelächter war riesengroß, mit dem die Niederlage
des verwegenen Herausforderers begrüßt wurde. Aber
nachher, als der Küfermeister in der Kemenate der Äbtissin
den selbstgebauten Wein anreichte, konnte der Vogt
es sich nicht verkneifen, seinem Widerpart ein Sprüchlein
zuzuflüstern: "Die langen Beine schaffen es auch
nicht, wenn der Verstand etwas kurz geraten ist."
Sprach's und steckte die Nase tief ins Weinglas.
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