Nr. 54 / Dezember 2006
  In unseren Geschichtsblättern behandelten wir bisher Themen, für die konkrete Unterlagen zur Verfügung standen. Davon wollen wir heute einmal abweichen, weil wir die folgende Geschichte sehr amüsant fanden und sie einen realen Hintergrund haben könnte. Jedenfalls hat der Verfasser die Örtlichkeit absolut zutreffend beschrieben.

Herr Rechtsanwalt Ulrich Hansen aus Köln ließ uns dankenswerterweise den Zeitungsartikel zukommen. Bei dem in der Ereignisschilderung erwähnten Vogt Trimborn handelt es sich um den Urururgroßvater des Herrn Hansen. Karl Caspar Rudolf Trimborn (* 1734, + 1806) war von 1762 bis 1794 Vogt des Ober- und Niederamtes Nideggen und wohnte auf der Wildenburg in Bürvenich. Der von Heinrich Heisenberg verfasste Bericht erschien am 14.9.1937 im Berliner Tageblatt Nr. 343:

Hundeschlittenrennen um 1780

Die drei vornehmen Herren saßen wieder einmal beim Abtrunk nach einer erfolgreichen Sauhatz beisammen. Das war auch in diesem Winter eine rechte Plage mit den Wildsauen, die mit dem Schnee aus den Eifelwäldern herab ins Vorland gekommen waren, wo der Hunger sie allnächtlich bis an die Rübenmieten vor den Dörfern trieb. Die Hunde hatten einen schweren Tag hinter sich und jetzt flegelten sie sich müde und abgekämpft draußen in der Leuteküche um den offenen Kamin.

In der Herrenstube ging die Unterhaltung um die Geschehnisse dieses Jagdtages und blieb zuletzt an den Hunden hängen, denen der größere Teil der heutigen Jagderfolge zu verdanken war.

Der rote Maubacher, der an den letzten Berghängen des Rurtales wuchs, hatte seine Aufgabe des Wiederauftauens der kältesteifen Gliedmassen längst erfüllt. Aber die Herren tranken wacker weiter und waren so allmählich in jenen Zustand munterer Unternehmungslust hineingeraten, in dem der junge Graf von Nesselrode Gott und die halbe Welt zu einer seiner ausgefallenen Wetten herauszufordern liebte.

Diesmal war es ihm gelungen, sogar den gestrengen Vogt Trimborn von Nideggen in eine Wette zu verstricken. Die ging um die Schnelligkeit ihrer Hunde, und nach einigem Hin und Her über die beste Art, wie die geschwindesten Tiere festzustellen seien, war man übereingekommen, ein jeder möge seine drei stärksten und schnellsten Hunde vor einen leichten Schlitten spannen und sie so auf einer bestimmten Strecke die Behendigkeit ihrer Beine und die Ausdauer ihrer Lungen dartun lassen.

Der Baron von Kolff, der drunten im Rurtal auf seiner behäbigen Wasserburg saß sollte das Schlittenrennen als Schiedsrichter hoch zu Ross begleiten. Er war zunächst zwar ein wenig erstaunt ob der Bereitwilligkeit, mit der der vorsichtige Vogt Trimborn sich zu einer solchen Wette mit dem jungen Wagehals bereitfand. Aber als der Vogt dann bei der Festlegung der Rennstrecke hartnäckig darauf bestand, dass dafür nur die Wollersheimer Heide in Frage kommen könne, weil weit und breit kein gleich ebenes Gelände zu finden sei, da wurde der Herr von Kolff hellhörig. Und das noch mehr, als der Vogt sich nicht davon abbringen liess, dass die Wettfahrt vom Zülpicher Münstertor zum Wollersheimer Klosterhof gehen müsse und nicht umgekehrt, wie der junge Graf Nesselrode vorgeschlagen hatte. Aber was hinter dieser unerwarteten Beteiligung des bedächtigen Vogts an einer solchen Wette und noch mehr hinter seinem eigensinnigen Festhalten an Verlauf und Ziel der Rennstrecke sich zu verbergen schien, konnte auch der Scharfsinn des Herrn von Kolff nicht enträtseln.

So musste denn der Stellmacher auf dem nesselrodischen Burghof zu Thum schleunigst zwei lange leichte Schlitten aus zähem Espenholz zusammenbauen, während die beiden Partner dieses Wettrennens mit dem Sattler an der Herstellung des Ledergeschirrs für das Dreigespann der Hunde herumhantierten und die Hunde daran gewöhnten.

Als man dann schließlich nach Tagen unter dem keifenden Gebell der Hunde inmitten eines großen Bekanntenkreises vor dem roten Backsteinbau des Zülpicher Stadttores die Rennschlitten bestieg, schien den Anwesenden der Sieg des Nesselroder Grafen eine ausgemachte Sache. Einmal weil seine Hunde an seiner jungenhaften Schlankheit weniger zu ziehen hatten als das andere Gespann an der schon etwas fülligen Rundlichkeit des Vogtes. Und dann, weil er den einen Hund als Leittier vor das Doppelgespann der beiden anderen gespannt hatte, während die drei Zugtiere des Gegners in einer breiten Front vor dem Schlitten laufen sollten.

Wie dann der Vogt im letzten Augenblick auch noch einen Sack mit unbekanntem Inhalt vor sich auf den Schlitten nahm und damit die Last noch vergrößerte, schien dem Nesselroder das Rennen schon gewonnen. Das dachte auch der Herr von Kolff, der nun mit seinem schnellsten Reitpferd neben den Schlitten durch den auf stiebenden Schnee trabte.

Der Nesselroder überließ dem Gegner die Führung. Er gedachte seine Tiere für den Endkampf zu schonen und nutzte daher die Spur aus, die der Schlitten des Vogtes vor ihm in dem weiten Schneefeld zog. Schnurgerade auf den Wollersheimer Kirchturm zu. Das war ein prächtiges Rennfeld, und die Hunde griffen wacker aus, so dass der berittene Tross der neugierigen Zuschauer weit zurückfiel. Aber auch der Vogt ließ seinem Gespann die Zügel locker und gab sich zunächst kaum Mühe darum, wenn er auch darauf bedacht war, dass der andere sich nicht unversehens an die Spitze setzte.

So ging der Wettkampf ein gut Stück über die Heide, die fast anderthalb Jahrtausend vorher der Schauplatz eines größeren und blutigeren Ringens gewesen war, wenn die alten Leute recht hatten: jener schicksalhaften Zülpicher Schlacht, in der der Frankenkönig Chlodwig die Alemannen niederzwang. Aber daran dachte wohl niemand, während die Schlitten über das weiße Blachfeld jagten und die Reiter weit zurückließen.

Wie die Gespanne so ziemlich den halben Weg hinter sich gebracht hatten und der niedrige Wollersheimer Kirchturm immer mehr aus der Bodensenkung des Dorfes emporstieg und der Rauch aus den Höfen im schwachen Westwind schon herüberstrich, trieb der Vogt jählings seine Hunde an. Die Plötzlichkeit dieses Vorstoßes vergrößerte für einen Augenblick seinen Vorsprung, und just in diesem Augenblick riss er den Sack zwischen seinen Beinen hervor und gab dessen Inhalt frei.

Der Baron von Kolff, der mühsam hinter dem zweiten Schlitten galoppierte, sah von der Höhe seines Gauls herab einen halbwüchsigen Wolf aus dem Sack purzeln, sich im Schnee überschlagen, dann einen Augenblick in der Blendung der weißen Fläche verweilen und nach flüchtiger Umschau im Bogen an den Hunden vorbeifegen, um spornstreichs mit eingekniffener Rute gen Wollersheim zu rennen, das jaulende Hundegespann hinter sich.

Der Schlitten des Vogts rümpelte über den knisternden Schnee, rumpelte über Bodenwellen und Erdlöcher, immer dichtauf hinter dem geängstigten jungen Wolf, der seiner Heimat zujagte. Das war der Wollersheimer Klosterhof, bei dessen Förster Vogt Trimborn sich den jungen Wolf ausgeliehen hatte. Hier wuchs er seit seinen ersten Lebenswochen heran, in denen der Förster den kleinen Burschen irgendwo im Walde aufgestöbert hatte.

Trotz der unverminderten Feindschaft der Hofhunde hatte das Tier, in dem die Erinnerung an die Freiheit der Wälder noch nicht wach geworden sein mochte, sich an den Klosterhof gewöhnt, dem es nun nach den bangen Stunden der Fesselung schleunigst zustrebte, um sich vor den Hunden in Sicherheit zu bringen.

Die setzten dem unfreiwilligen Schrittmacher mit jähaufflammender Jagdgier nach, rissen den schwankenden Schlitten mitsamt dem Vogt dem Dorf zu, immer ein paar Nasenlängen hinter dem jungen Wolf, der in dem fußhohen Schnee nicht die volle Geschwindigkeit seiner kurzen Läufe entfalten konnte. Bis die wilde Jagd endlich im Klosterhof zum Stehen kam, wo der Wolf sich in sein Loch unter der Freitreppe flüchtete, in das die angeschirrten Hunde ihm nicht folgen konnten. Sie jaulten und heulten noch vor der Treppe, als mit einigem Abstand auch der junge Nesselrode in den Klosterhof hineinraste und dahinter auch der Freiherr von Kolff seinen Gaul zum Stehen brachte.

Das Gelächter war riesengroß, mit dem die Niederlage des verwegenen Herausforderers begrüßt wurde. Aber nachher, als der Küfermeister in der Kemenate der Äbtissin den selbstgebauten Wein anreichte, konnte der Vogt es sich nicht verkneifen, seinem Widerpart ein Sprüchlein zuzuflüstern: "Die langen Beine schaffen es auch nicht, wenn der Verstand etwas kurz geraten ist."

Sprach's und steckte die Nase tief ins Weinglas.



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