Nr. 57 / Januar 2009
 

Der Äezebäe

 
(von Hans Henn)

Den alten Wollersheimer Straßenkarneval gibt es leider nicht mehr. In mehreren Etappen ging ein Stück nach dem anderen verloren. Selbst die ursprüngliche Symbolfigur, den Äezebäe, kennen heute nur noch wenige.

 Die tollen Tage beginnen am Donnerstag vor Aschermittwoch. Wievefastelovend besitzen die Frauen die unumschränkte Herrschaft. Männer, selbst „Hohe Herren“ verlieren für einen Tag ihre vermeintliche Macht.

 Früher verkleideten sich die Frauen mit Masken und alten Kleidern zu Möhnen. Dafür wurde Oma`s Sonntagsstaat hervorgeholt. Gruppenweise trafen sich die Frauen in einem Hause und wechselten die Alltagskleidung gegen alte Klamotten. Maskierung und Verkleidung waren so perfekt, dass sich die Möhnen manchmal untereinander nicht erkannten, obwohl z.B. alle aus der „Krakau“ (Bezeichnung für den Bereich Zehnthofstr. 57-79) stammten. Die Möhnen zogen durchs Dorf und baten bei einzelnen Familien um Speis und Trank. Um sich nicht mit ihrer Stimme zu verraten, trugen sie ein Schild bei sich mit der Aufschrift „Wir haben Hunger und Durst“. Natürlich war der Durst schlimmer, als der Hunger.

Weiberfastnacht begann auch für die Kinder der Karneval. Verkleidet und in den Händen den Rommelspott, eine Blechdose, klopften sie an die Haustüren und sangen:


Rengele, Rengele, Rengelche
komme a paa ärme Kengelche
jedden jet, on lot se john
lot se net ze lang vüje de Düje stohn



Ein anderes Lied lautete:

Schamott, Schamott, die Aal die jeet kapott
schon wieder eine Seele vom Alkohol gerettetet
schon wieder eine Seele vom Alkohol befreit



Dienstags gesellte sich zu den Kindern der Äezebäe bzw. führte die Kinderschar an. Beim Äezebäe handelte es sich um einen der älteren Schuljungen, der von Kopf bis Fuß mit Erbsenstroh umwickelt wurde, um ihm ein bärenähnliches Aussehen zu verleihen.

Um den Bauch band man eine Kette oder ein Seil. Daran wurde der Äezebäe von einem Jungen gehalten und tanzend durch die Straßen geführt. Die Begleitmusik lieferten Kinder und Jugendliche, die jaulten und alte Kochkesseldeckel gegeneinander schlugen.

Um 1950 ging der letzte Äezebäe durch das Dorf. Ab Mitte der 1970er Jahre sah man keine Kinder mehr mit Rommelspott. Angeblich soll einigen Eltern der Heischegang der Kinder unangenehm gewesen sein.

Aus Feuerwehr und Tambourcorps fand sich etwa 1955 eine kleine Gruppe, die eine Karnevalsgesellschaft gründete. Der Verein nannte sich „Wollescheme Jecke“. Die finanziellen Mittel waren mager. Bei den Akteuren auf der Bühne handelte es sich nur um Wollersheimer. Als fremden Verein begrüßte man die Zülpicher Prinzengarde. Ortsfremde Karnevalisten wurden nicht verpflichtet, dafür fehlte einfach das Geld.

Die Gruppe trat mit eigenen Texten zu bekannten Liedern auf, die Geschehnisse aus dem Dorfleben persiflierten. Die Texte stammten überwiegend von Hubert Dohmen. Angesagt wurden die Beiträge von Heinrich Rick. Angelika Dohmen begleitete die Sänger mit dem Akkordeon.

Mitglieder des Vereins waren, bzw. es traten auf: Angelika Dohmen, Heinrich Dohmen, Hubert Dohmen, Josef Harscheidt, Gerhard Jungbluth, Michael Lauscher, Josef Lauterbach, Franz Mundt, Karl Pick, Heinrich Rick, Franz Wollenweber, Peter Wollenweber, Heinrich Zillken.

Die „Wollescheme Jecke“ nahmen fast ausschließlich das Dorfgeschehen unter die Lupe. Die aufgegriffenen Ereignisse liegen heute weit zurück. Sie sind daher nicht mehr aktuell und bringen nicht die Heiterkeit zum Ausdruck, die damals herrschte, wenn der auf `s Korn genommenen Zuhörer im Saale saß. Bei den Texten wurde Hochdeutsch und Platt gleichwertig verwendet. Es musste sich reimen und zur Melodie passen. Hier einige Beispiele:


Um sich zu freuen, braucht man ein Motorrad
zur Villa Hügel fährt man mit Motorrad
und wenn man keins hat, wird eins geklaut
und wenn uns nachher auch der Jupp verhaut

 Gleich nach dem vorletzten Feste
da saß bei Stupp om Abee
er hat sich bekotzt seine Weste
vom Kopf bis an den Zeh
Der Karl der feine Mann
der wool an die Wettfrau ran
anstatt möt ihr heem ze feze
blief he om Lokus seze

 Ein Heini steht im Saale ganz still und stumm
er hat auf seinem Rücken ein Hörnlein um
dä Jupp dä hat seng Kapp om Kopp
noher han se sich jeklopp
bös dat ärme Höenche  wa janz kapott

 Dä Fox, dä Fox, dä klitzekleene, kleene Fox
als Aktive deet hä net mie möt
keene weeß, woran dat litt
me sprech dovon, dat Klara öm vielleicht ze vell om Maare litt

Des sonntags in aller Frühe
et blees at wedde Appell
Paul-Jüpp der Feuerwehrführer
war janz alleen zur Stell
Do kome mieje vieje ahnjedout
do hätte os direkt ahnjebrollt
do hat ije Schwein jehat
sons hät ich üch e Nüllche jemaht
Do kom als Lezte jedresse
der stellvertretende Meeste
er loch beij dem Lisbeth om Fell
dröm kome ze spät zum Appell


1959 löste sich die Karnevalsgesellschaft „Wollescheme Jecke“ auf.

Die in den Liedern angesprochenen Personen sind dem Geschichtsverein bekannt und können erfragt werden.

Sollten Sie, liebe Leser, noch weitere Texte kennen, sind wir für die Überlassung dankbar.




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