Herausgeber:
Geschichtsverein
Wollersheim e.V.
Zusammengestellt
und redaktionell bearbeitet
von
Hans-Günter Fries in 8/2003
TURMKAPELLE ALTE KIRCHE
Die Turmkapelle in der Alten Kirche zu Wollersheim
gehört in ihrer Art zu den wenigen noch erhaltenen Beispielen in der
Eifel.
Die Entstehungszeit des Kirchturms wird in der
Fachliteratur auf Mitte des 12. Jahrhunderts datiert. Die
Außengliederung am Turm und das Kapitell einer Säule in der Turmkapelle
weisen dagegen schon typische Elemente des 11. Jahrhunderts auf. Wenn
hier also nicht einzelne Motive oder Bauteile von einem älteren Bau
übernommen wurden, müsste man eigentlich von zwei verschiedenen
Bauzeiten des Turms ausgehen (Holzinger).
Die Kapellenanlage wurde 1903 wiederentdeckt.
Als 1903 der Orgelbauer Breuer aus Bürvenich die Orgel
in der Alten Kirche abbaute, um sie auftragsgemäß in der neuerbauten
Kirche nach Renovierung und Umbau wieder aufzustellen, machte er eine
erstaunliche Entdeckung. Er fand im 1. Obergeschoss des Turmes, wo
bisher der Blasebalg stand, eine romanische Kapellenanlage, die völlig
in Vergessenheit geraten war.
Eingehend beschrieben wurde die Alte
Kirche 1910 in der Dokumentationsreihe "KUNSTDENKMÄLER DES KREISES
DÜREN". Autor und Herausgeber der dama1igen Abhandlung war der
Provinzial-Konservator Dr. Paul Clemen. In seinem Beitrag beschreibt er
nach eingehender Bestandsaufnahme die Alte Kirche und erklärt an Hand
von Bauplänen und Detailskizzen Einzelheiten des Gebäudes.
Über die
Turmkapelle macht er folgende Angaben: "Das erste Obergeschoss (des
Turmes) enthält eine interessante romanische Kapellenanlage mit kleiner
Apsis in der Ostmauer; südlich daneben (rechts) ein
vermauertes
Doppelfenster mit Säulchen (die Vermauerung wurde vermutlich
vor 1963
entfernt. Das Fenster gleicht den Fenstern in der Glockenstube);
zum
Schiff hin nördlich (links), dem Fenster entsprechend,
eine rundbogige
Tür."
Vor der großen Renovierung der Alten Kirche, Anfang
1970,
befasste sich auch Dr. Georg Wilhelm Holzinger in seiner Dissertation
(Romanische Turmkapellen in Westtürmen überwiegend ländlicher Kirchen
im südlichen Teil des alten Erzbistums Köln, von 1962) mit der
Wollersheimer Kirche und ihrer Kapellenanlage. Dem Thema entsprechend
beschreibt er zunächst ausführlich die Kapelle im Obergeschoss des
Turmes und versucht anschließend an Hand von Beispielen die Entstehung
der Anlage und ihre frühere Nutzung zu deuten.
Obwohl Dr. Clemen schon
1909 in seiner zeichnerischen Bestandsaufnahme Details der
Kapellenanlage festgehalten hatte, befasste sich erstmals Dr. Holzinger
näher mit einem kleinen Fensterchen in der Apsis der Kapelle und kommt
zu einer höchst interessanten Feststellung: "In der Kapellenanlage
befindet sich in der Mitte der Ostwand eine apsisförmige Nische mit
einem rechteckigem Fensterchen in ihrer Achse und einer kleinen
Abstellnische in der rechten Leibung. Das Fensterchen (vermutlich
bei
späteren Renovierungsarbeiten zugemauert) gab (auch vor
der Einwölbung
1517) bei der ursprünglichen Holzbalkendecke (Flachdecke)
im
Kirchenschiff den ungehinderten Blick auf den Hauptaltar frei".
Dr.
Holzinger machte bei seinen Recherchen in und am Turm noch eine
weitere, wichtige Entdeckung. Er fand in der Außenwand des Kirchturmes,
in der Höhe des 2. Obergeschosses, eine vermauerte Tür, die vermutlich
eng im Zusammenhang mit der Turmkapelle stand.
Querschnitt der
Alten Kirche, Kapellenanlage 1. OG im Turm,
Zeichnung Dr. Clemen, 1909
Diese "Außentür" (noch heute gut sichtbar)
befindet sich in der
westlichen Turmwand in Höhe des 2. Obergeschosses. In das nordwestliche
Fenster der Fensterreihe dieses Geschosses muss nach seinen
Beobachtungen nachträglich eine Tür gebrochen worden sein, die zu einem
späteren Zeitpunkt, irgendwann wieder vermauert wurde. Die ausgetretene
Schwelle dieser vermauerten Tür (langjährige starke Benutzung?)
liegt
rund 2 Meter über der Fußbodenhöhe der Kapellenanlage (1.
Obergeschoss).
Nach seiner Theorie kann die Türe ein früherer
Zugang
vom Obergeschoss des Fronhofes zur Kapelle des Kirchturms gewesen sein.
Der Zugang kann möglicherweise über eine Art Brücke vom Stiftshof aus
erfolgt sein.
Nicht nachzuweisen ist, ob diese Türe im Turm über eine Außentreppe
oder über eine Brücke erreicht werden konnte. Beides ist denkbar;
wahrscheinlicher ist aber, dass eine brückenähnliche Verbindung zum
nebenan gelegenen Stiftshof geführt hat. Der Lagepunkt der Türe am Turm
(Höhe am Turm) hat sich möglicherweise aus der Geschosshöhe des
Stiftshofes ergeben.
Folgt man dieser Annahme, müsste der rechte Gebäudetrakt
des Stiftshofes (Ostflanke) damals mindestens
zweistöckig gewesen sein. Auf der 1, Etage dieses Gebäudes müsste man
sich die damaligen Wohnräume der Äbtissin vorstellen. In romanischer
Zeit war es üblich, die Wohnräume von Herrschern oder Grundherren in
den Obergeschossen (1. Etage) der Häuser (Burgen, Klöster usw.)
unterzubringen.
Auf Grund der starken Ähnlichkeit mit der Turmkapelle in
Kleinbüllesheim, die eine ähnliche Verbindung auf Höhe des
Obergeschosses (Wohnung) hat, ist das Obergeschoss in der Wollersheimer
Kirche wohl auch als Privatkapelle der gelegentlich anwesenden
Grundherrin (Äbtissinnen von St. Maria im Kapitol)anzusehen.
Sitz der Grundherrinnen in Wollersheim war der
Stiftshof, der unmittelbar neben der Kirche liegt.
Schon 1184 (erste urkundliche Erwähnung) soll der
Stiftshof und seine Kirche zu den Besitztümern von St. Maria im Kapitol
gehört haben. Hof und Kirche bildeten früher eine Einheit. In der
Fachliteratur wird die Kirche schon früh als "Eigenkirche" des
Stiftshof bezeichnet.
Die Kirche zu Wollersheim, eine Eigenkirche des
Stiftshofes, wurde im 13. Jh. dem Stift St. Maria im Kapitol
einverleibt (inkorporiert). Vor dieser Zeit hatten
bereits mehrere Äbtissinnen die Kirche dem Stift zur Verbesserung der
Pfründe geschenkt.
Im Mittelalter hatten die Grundherren (in
Wollersheim die Äbtissinnen) nicht nur das wichtige Recht den
Zehnten zu erheben, sondern auch das Privileg (Sonderrecht),
sich innerhalb ihrer Kirche an einer besonders hervorgehobenen Stelle
einen eigenen Sitz für die Teilnahme am Gottesdienst errichten zu
lassen.
Auch die Grundherrinnen des Wollersheimer Hofes
scheinen dieses Recht, im Kirchturm eine eigene Kapellenanlage
einzurichten, wahrgenommen zu haben. Schriftliche Beweise hierfür
fehlen allerdings.
Bis zum 14. Jh. bestanden die Äbtissinnen des Stiftes
von St. Maria im Kapitol aus prominenten Damen des Hochadels. Äbtissin
Ida († 1060) hatte zum Beispiel eine außerordentlich bemerkenswerte
Verwandtschaft. Sie war die Tochter des Pfalzgrafen Ezzo; ihre Mutter
Mathilde war die Tochter Kaiser Ottos des II., ihr Bruder Hermann war
Erzbischof von Köln und ihre Schwester die polnische Königin Richeza.
Andere Schwestern standen als Äbtissinnen verschiedenen rheinischen
Kanonissenstiften vor. Diese verwandtschaftlichen Beziehungen der
Äbtissin Ida haben sich nach Ansicht der Historiker auf Bau und
Ausstattung der Kirche "St. Maria im Kapitol" nachweislich ausgewirkt.
Zwischen 1307 und 1404 waren Äbtissinnen: Irmagina von
Virneburg (1307-1322) Ponzetta von Hammerstein (1325-1337), Elisabeth
von Katzenelnbogen (1338-1367) und Irmgard von Schöneck (1368-1404).
Stark anzunehmen ist, dass die adeligen Äbtissinnen
nicht nur auf die Gestaltung ihrer Kölner Gebäude Einfluss genommen
haben, sondern auch auf die Gestaltung ihrer ländlichen Besitztümer,
zumal sie sich hier öfters aufhalten mussten.
Aus dem Wollersheimer Weistum (lokale
Aufzeichnung von Rechtsgewohnheiten und Rechtsbelehrungen im
Mittelalter) wissen wir, dass die Äbtissinnen mehrmals im Jahr
offizielle Termine auf ihrem Hof in Wollersheim wahrnehmen musste. Die
Äbtissinnen waren zeitweise nicht nur Pächterinnen des Hofes, sondern
mussten diesen auch als Repräsentantin des Stiftskapitels
beaufsichtigen. Als Grundherrin mussten sie an verschiedenen
gerichtlichen Terminen teilnehmen.
Nach einer Anreise (vermutlich Tagesreise)
aus Köln mit großem Tross, wohnten die Äbtissinnen in ihren Räumen auf
dem Stiftshof.
Die Damen, die aus dem Hochadel stammten, mussten ihrem Rang
entsprechend, auch bei ihren repräsentativen Auftritten auf dem Lande (Gerichtssitzung,
Leistung des Treueeides von Schöffen und Lehnsleuten an ihre
Abgesandten usw.) auf bestimmte Statussymbole großen Wert legen.
Dreimal im Jahr fand auf dem Stiftshof in Wollersheim
ein Vogtgedinge (Gericht unter Vorsitz eines Vogtes)
statt. Die Wollersheimer Vogtei hatten im Hochmittelalter die Grafen
von Heimbach inne. Zu den Hofgedingen kam der Graf mit großem Gefolge
und Gepränge nach Wollersheim. In diesen Fällen fungierte die Äbtissin
als Gastgeberin. Wie im Weistum angeordnet, musste der Vogt vor der
Gerichtssitzung einer Messe in der benachbarten Kirche beiwohnen. Bei
dieser Gelegenheit wird er die Turmkapelle der Äbtissin benutzt haben,
die man über eine Brücke aus den Gemächern der Äbtissin erreichen
konnte. Diese besondere Messe kann am Hochaltar in der Kirche oder aber
auch an einem separaten Altar in der Turmkapelle gelesen worden sein.
In der Regel gehörte zur Ausgestaltung einer eigenen Turmkapelle auch
ein eigener Altar.
Bei dem stark ausgeprägten Ständewesen des Mittelalters
war es selbstverständlich, dass ein besonderer Sitz des Grundherren /
der Grundherrin über den anderen Teilnehmern am Gottesdienst angelegt
sein musste.
Die Konzeption der in der Kirche anzutreffenden
erhöhten Kapellenanlage gegenüber dem Altar, kann als Sinnbild für die
Zweipoligkeit der Kirche aufgefasst werden: im Osten Altar und Chor für
die Geistlichen und im Westen der erhöhte Sitz für den Grundherren als
weltlicher Beschützer der Kirche.
Diese Anordnung sollte den Stand des Grundherren
(Herrschers) über dem einfachen Volk symbolisch zum Ausdruck bringen.
Auch kam eine solche Anlage neben der Erfüllung standesmäßiger
Verpflichtungen zugleich dem menschlichen Bestreben des Grundherrn
entgegen, sich äußerlich aus der Menge hervorzuheben.
Das rechteckige Fensterchen in der apsisförmigen Nische
hatte eine besondere Funktion; es ermöglichte dem Herrscher einen
ungehinderten Blick auf den Hauptaltar.
Diese Anordnung hat zu verschiedenen Deutungen Anlass
gegeben. Die Stellung des Fensterchens in der Mittelachse des ganzen
Bauwerks und gleichzeitig auf der Achse zum Hauptaltars, entsprach der
überragenden Bedeutung des "Throninhabers".
Bisher unbeantwortet ist die Frage geblieben, warum bei
der Einwölbung des Mittelschiffs (1517) die beiden Säulen die bei dem
Einbau errichtet werden mussten, links neben der Mittelachse stehen.
Wären die beiden Säulen genau auf die Mittelachse gestellt worden, wäre
dadurch die ungehinderte Sicht aus dem Fensterchen zum Altar versperrt
worden.
Wenn man berücksichtigt, wie stark das Privileg und die
Symbolkraft der ungehinderten Sicht auf den Altar war, stellt sich die
Frage, ob die Säulen nicht absichtlich (oder auf Weisung?) neben der
Sicht- und Mittelachse "Fensterchen /Altar" errichtet worden sind.
Gut denkbar ist, dass die damaligen Äbtissinnen auf
diese wichtige symbolträchtige Achse zwischen Altar und Thron und den
ungehinderten Blick auf den Altar, als äußeres Zeichen ihrer weltlichen
Macht gegenüber ihren Untertanen, nicht verzichten wollten oder
konnten. Diese Gründe können dazu geführt haben, dass man bewusst die
asymmetrische Gewölbekonstruktion in Kauf genommen hat.
Schließlich kann auch noch der Gedanke an eine
Zufluchtsstätte in Kriegszeiten bei der Errichtung von Turmkapellen
eine Rolle gespielt haben.
Die Entstehungsmotive für die Turmkapelle kommen
zugleich auch als Verwendungszwecke in Betracht, da es einer allgemein
menschlichen Eigenschaft entspricht, für bereits bestehende
Einrichtungen im Lauf der Zeit auch noch andere
Verwendungsmöglichkeiten zu finden.
Die oben aufgeführten Motive sind nicht jedes für sich
alleine als einzige Entstehungsursache für die Turmkapelle anzusehen,
Vielmehr ist es wahrscheinlicher, dass sich aus dem Zusammenwirken
vieler Einzelmotive die spätere Bauausführung herausgeschält hat.
+ + +
Quellenverzeichnis:
Dr. Paul Clemen, Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, 1910
Dr. Georg Wilhelm Holzinger, Dissertation, 1962
Dr. Dorothea Eimert, Jahrbuch Kreis Düren, 1978
Architekturbüro Lückerath, Korrespondenz, 198
Dr. Brueckner, Dissertation, 2000
Jan Borgmann MA, Magisterarbeit, 2001
Pfarrarchiv Wollersheim
Pfarrchronik
Geschichtsverein Wollersheim
Südliches
Seitenschiff vor dem Abriss 1913
Foto Dr. Clemen
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