Anekdoten rund um die Neue Kirche

Die historischen Daten und Einzelheiten um die Geschichte der „Neuen" Kirche in Wollersheim sind sicherlich hinreichend durch die Arbeit des Geschichtsvereins festgehalten worden. In den nun folgenden Texten habe ich versucht, Erzählungen, Geschichten und Anekdoten um dieses Gebäude aufzuschreiben. Manches ist selbst erlebt, anderes erzählt. Das soll dazu dienen, den Blick der Menschen über rein historische Daten und Fakten hinaus zu schärfen und deutlich zu machen, dass ein solches Gebäude nur durch die Menschen, die dort ein- und ausgehen, eigentlich lebt. Es könnte auch andere Wollersheimer dazu anregen, eigene Erfahrungen aufzu-schreiben und dem Geschichtsverein zur Verfügung zu stellen.

Situation kurz vor Kriegsende
Meine ersten deutlichen Erinnerungen gehen in das Jahr 1944 zurück. Wir waren nach den Osterferien eingeschult worden und besuchten die Unterklasse. Frau Maria Fucks war unsere Klassenlehrerin. Fast endlose Kolonnen deutscher Soldaten zogen mit Pferden an Trainwagen und Geschützen mit Panzern und anderem Kriegsgerät durch Wollersheim an die Westfront, um die anrückenden alliierten Truppen vor der Reichsgrenze zu stoppen. In den Häusern und Höfen waren Soldaten einquartiert, in Ställen und Scheunen standen Pferde und Fahrzeuge. Fast täglich griffen englische und amerikanische Tiefflieger auch unser Dorf an. Scheunen, in denen die Ernte von 1944 lagerte, gingen in Flammen auf. Es gab Tote und Verletzte, Menschen und Tiere. Besonders betroffen waren viele Flüchtlingsfamilien aus dem Raum Simmerath und Monschau, die auf ihrem Fluchtweg Richtung Mitteldeutschland Schutz und Unterschlupf gefunden hatten. Die noch regelmäßig stattfindenden Gottesdienste in der neuen Kirche waren angesichts von Not und Leid gut besucht.

Die Kirchen als Ziele von Kriegshandlungen und Ideologie
Die Gefährdung durch die Kampfhandlungen war u.a. eine ideologisch willkommene Begründung, die Besucherzahl der Gottesdienste in der Kirche auf 35 bis 45 zu begrenzen. Auch Wollersheimer SA - Leute standen an den Eingängen und zählten. War die erlaubte Besucherzahl erreicht, mussten die übrigen Menschen bei offener Tür den Gottesdienst von draußen verfolgen. Durch die leibliche und seelische Not suchten wieder viele Menschen Trost in der Religion. Manche wunderten sich, dass diejenigen, die zuvor überzeugte Nationalsozialisten waren, die ihre Kinder unter der Hakenkreuzfahne taufen ließen, mit großer Frömmigkeit in die vorderen Bänke der Kirche rückten.

Abenteuer im Schulunterricht
Bei Fliegerangriffen während der Unterrichtszeit mussten alle Schüler in den Schulkeller. (Jetzt Haus Fa. Jungbluth) Dieser war als Luftschutzraum deklariert. Ob er wirklich einer Fliegerbombe standgehalten hätte, kann man bezweifeln. Hier saßen wir dann auf Bergen von Koks, dem Brennmaterial der Klassenöfen. Das dunkle Brummen der Bombermotoren, das Heulen der Tiefflieger und das dumpfe Grollen der einschlagenden Bomben, das die Mauern erzittern ließ, machte uns Schülern große Angst. Durch den Koksstaub „eingefärbt" waren wir froh, wenn der Angriff vorüber war, die Sirenen Entwarnung gaben und wir das Tageslicht sahen. Dienstags und freitags war Schulmesse, deren Besuch durch Pfarrer und Eltern zur Pflicht gemacht wurde. In meinem Elternhaus gibt es einen Gewölbekeller aus Bruchstein. Er war besonders abgestützt und diente meiner Familie und den Flüchtlingen, die bei uns wohnten, als Luftschutzraum. Ich erinnere mich an einen Nachtangriff als amerikanische Panzer bzw. Artillerie von den Eifelhöhen her (Vossenack, Schmidt) Wollersheim und die umliegenden Dörfer unter Beschuss nahmen. Mit uns im Keller befanden sich neben den Flüchtlingen auch einige deutsche Soldaten. Plötzlich gab es eine laute Detonation. Die Soldaten erklärten: „Dieser Treffer war ganz in der Nähe." Am anderen Morgen klaffte ein großes Loch in der Westseite des Turmes der alten Kirche. Kurze Zeit später geschah das Gleiche auch am Turm der neuen Kirche. Die angreifenden Amerikaner vermuteten dort zurecht so genannte „VB' s" vorgeschobene deutsche Front- bzw. Artilleriebeobachter.

Der Krieg ist zu Ende
Für uns Kinder war der Krieg in unserem kurzen Lebenslauf ein Dauerzustand und wir wunderten uns, dass dies nun vorbei sein sollte. Eine große Gefahr bestand darin, dass sehr viel zurückgelassenes Kriegsmaterial, vor allem Munition, in den Höfen und Feldern herumlag. Immer wieder hörte man von Explosionen, bei denen Kinder aus den Dörfern der Umgebung verletzt wurden oder gar ums Leben kamen. Auch in Wollersheim kamen einige Kinder beim Spielen mit Munition zu Schaden. Der Schüler Hans-Jakob Düster erlitt in Scheune des Gasthofes Stupp bei der Explosion einer Handgranate so schwere Verletzungen, dass er an den Folgen verstarb. Er war so alt wie ich und mein Kommunionpaar. Die erste heilige Kommunion erlebten wir 1947 im Saale Stupp (heute Bürgerhaus). Hier war dank der Familie Stupp die sog. Notkirche eingerichtet. Durch die vielen Kriegsschäden konnte die neue Kirche nicht benutzt werden. Eine Granate hatte die Orgel total zerstört. Die Bleiglasfenster und Gewölbeteile waren in den Innenraum eingebrochen. Am Schieferdach zeigten sich zahlreiche Einschläge, durch die der Regen ungehindert eindringen konnte. Zunächst wurde die Pfarrgemeinde durch Pater Gasper betreut, der mit Jugendlichen und Messdienern mit den Aufräumarbeiten in der Kirche begann. Die liturgischen Geräte und wertvollen Messgewänder waren gegen Ende des Krieges von Pfarrer Helmich mit dem Küster, Herrn Wilhelm Henn, und meinem Bruder Johannes im Keller der Messdienersakristei (heute Heizungskeller) in Kisten vergraben worden. Später wurden sie dort wieder herausgeholt und anderswo versteckt.

Firmung durch Kardinal Frings
Das Jahr 1948 brachte für Wollersheim ein großes Ereignis; der berühmte Kardinal Josef Frings kam aus Köln auf Visitation und Firmreise auch nach Wollersheim. Pfarrer Helmich war völlig ratlos, was er dem Kardinal, dessen Begleitung und den Pfarrern aus den umliegenden Gemeinden nach dem "mehrspännigen" Hochamt zum Mittagessen servieren sollte. Das Problem wurde von Johann Eckstein, Kaspar Meihs und meinem Vater dadurch gelöst, dass ein gut genährtes Kalb "schwarz" geschlachtet, als Grundlage für das Festessen der geistlichen Herren dienen musste. das war damals für die Bauern (Erzeuger) sehr riskant und wurde wegen der Bewirtschaftung der Lebensmittel streng bestraft. Zweimal im Monat erschien eine sog. Preis- und Kreiskontrolle. Diese bestand aus zwei bis drei englischen Offizieren und aus Gewerkschaftlern, von denen einige im KZ gewesen waren. Sie prüften bei den Bauern die Viehbestände genau und durchstöberten Speicher und Keller nach Getreide und anderen Nahrungsmitteln. Die sog. „Glocken", zentrale Maschinenteile aus den Milchzentrifugen mussten abgeliefert werden, um zu verhindern, dass die Bauern heimlich Butter erzeugen konnten. Alle Erzeuger mussten Zwangsabgaben: Schlachttiere, Milch und Getreide für die Hunger leidende Stadtbevölkerung abliefern. Da mein Vater damals Ortslandwirt war, erschien die „Kommission" zuerst bei uns. Wir Jungen wussten Bescheid, schwangen uns auf die Räder und brachten die Botschaft: Die Kommission ist da! ins Dorf.

Die Sprache im Gottesdienst war Latein
Ich war inzwischen Messdiener geworden. Das war für uns Jungen gar nicht so einfach, weil Pfarrer Helmich verlangte, dass wir das Staffelgebet, das Confiteor und das Suscipiat fehlerfrei in Latein aufsagen konnten. Er überprüfte das auch regelmäßig und ich sehe noch manchen meiner Freunde in der Sakristei mit hochrotem Kopf um die richtige lateinische Aussprache ringen.

Messdiener in Not
Als baulicher Mangel bei der neuen Kirche erwies sich der Tatbestand, dass die sog. Messdienersakristei keine Tür nach außen hatte und keine Toilette vorhanden war. Besonders im Herbst in der Pflaumenzeit konnte man in arge Bedrängnis geraten. Die Anlagen um die Kirche waren noch sehr in Unordnung und große Brennnesselstauden brachten genügend Deckung. Als gangbarer Ausweg erwiesen sich die schmalen Fenster der Sakristei. Sie sind ziemlich hoch über dem Boden angebracht (heute Kellereingang zur Heizung). Das Hinausklettern ging noch relativ einfach, hineinkam man aber nur mit Hilfe der Freunde von drinnen. Manchmal wurde aber auch jemand aus Spaß bis kurz vor Gottesdienstbeginn draußen „hängen" lassen.

Trauung mit Dusche
Großen Ärger mit Pfarrer Helmich bekam ich einmal bei einer Trauung. Nach der Messe sollte das Brautpaar gesegnet werden. Ich war verantwortlich für Weihwasser und Aspergill (Handgerät zum Versprühen des Weihwassers). Der Weihwasserkessel war kräftig aufgetankt und das Aspergill mit einem neuen Schwamm bestückt. Bei der Segnung durch Pfarrer Helmich ergoss sich dann eine regelrechter Wasserschwall über die Braut besonders aber deren Festfrisur und das duftige Brautkleid. Sie sah danach aus wie ein Hund, der im Wollersheimer Bach ein Bad genommen hat. Den konsternierten Blicken des Brautpaares folgte eine drastische Strafpredigt von Pastor Helmich.

Text: Albert Grein


Was so in den letzten 100 Jahren geschah



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