Beim Bau der
Kirche erhielt der Turm einen stählernen Glockenstuhl.
Diese starre Eisenkonstruktion erwies sich als ungeeignet. Sie übertrug
die Schwingungen der Glocken stark auf den Kirchturm und auch auf
das Kirchenschiff. Außerdem war der Glockenstuhl so ausgerichtet,
dass die Glocken gegen die Breitseite des Turmes schwangen und dabei
gefährliche Resonanzerscheinungen auslösten. Das wurde selbst
für die Gottesdienstbesucher sichtbar. Wenn nämlich alle drei Glocken
läuteten, geriet das im Chor hängende große Kreuz in Schwingungen.
Auch die beiden Filialtürmchen auf den Außenecken der Seitenschiffe
wackelten und mussten abgetragen werden. Zur Vermeidung von
Gebäudeschäden
mussten die Kirchenglocken ab Juli 1958 schweigen.
Im Winter 1959/1960 baute man einen massiven zweigeschossigen
Glockenstuhl aus Holz. Außerdem wurde die Holzkonstruktion so auf
gestellt, dass die Glocken gegen die Schmalseite des Turmes schwingen.
Dadurch stehen heute beim Vollgeläute Turm und Glockenstuhl
ruhig.
Für die Dauer der Arbeiten wurde die kleine Stahlglocke
heruntergelassen
und neben der Kirche in einem provisorischen Stuhl montiert. Erstmals
seit 1958 konnte zum Weihnachtsfeste 1959 eine Glocke erklingen
und die Gläubigen zum Gottesdienste rufen.
Im Rahmen der Sanierungsarbeiten lieferten die
''Herforder Elektricitäts-
Werke" am 26.3.1960 eine elektrische Läuteanlage. Die mechanischen
Läutemaschinen wurden auf Hartholzmotorbänken montiert.
Gegen die elektrische Anlage hatte sich Pfarrer Helmich jahrelang
gewehrt,
weil er es für ein totes Geläute hielt. Er war der Meinung, dass
nur per Hand geläutete Glocken lebendig klingen. Letztlich konnte er
sich jedoch der technischen Entwicklung nicht verschließen. Eine Rolle
spielte wohl auch der Arbeitsaufwand und das Alter des damaligen
Küsters.
Bis zur Installation der elektrischen Anlage mussten auf
der Orgelbühne
die Läuteseile gezogen werden, die von der Glockenstube bis dorthin
reichten. Diese Tätigkeit oblag dem Küster. Sein Arbeitstag begann
daher morgens um 6.00 Uhr und endete abends um 18.3o Uhr jeweils
mit dem Angelusläuten. Dazwischen lag das Angelusläuten mittags um
11.3o Uhr. Weiter erklangen die Glocken zu den Gottesdiensten. An
Sonn- und Feiertagen wies eine Glocke 3o Minuten vor Beginn der hl.
Messe auf den Gottesdienst hin. Nach 15 Minuten läuteten dann alle
drei Glocken. Da das Ziehen von 3 Seiten nicht ganz einfach ist, halfen
sonntags die Messdiener. Läuten war bei den Jungen sehr beliebt,
wurde man doch vom Schwung der Glocke, wenn man sich am Seil
festhielt, in die Höhe gezogen und schwebte anschließend wieder auf
den Boden. Dabei durften die Glocken natürlich nicht ihren Schwung
verlieren, sonst schlug der Klöppel nicht mehr an.
Das bereits erwähnte Angelusläuten erforderte eine
besondere Anschlagtechnik,
das sogenannte Kläppen. Beim Kläppen wird die Glocke
nur einseitig mit dem Klöppel angeschlagen. Das Angelusläuten
begann und beginnt auch heute noch mit drei mal drei Anschlägen im
Abstand bestimmter Pausen. Danach wird mit einer anderen Glocke
normal geläutet. Besonders markant ist das Totengeläute, wenn jemand
aus der Gemeinde verstorben ist. Früher wurde mit der St.Maria-
Glocke, der schwersten unserer Glocken, dreimal gekläppt und
anschließend
mit allen drei Glocken geläutet. Dieser Vorgang wiederholte
sich noch zweimal. Mit Einführung der elektrischen Anlage musste der
Modus des Sterbegeläutes geändert werden. Heute ertönt zunächst
die kleinste Glocke und nach einer gewissen Zeit schließen sich die
beiden anderen an, und das insgesamt dreimal.
Die Läutetradition hat sich über Jahrzehnte weitgehend
unverändert erhalten.
Eine Unterbrechung erfuhr sie nur in den Kriegsjahren, als die
Nationalsozialisten das Läuten untersagten. Das Verbot wurde war mit
funkmeßtechnischen Problemen begründet, wahrscheinlich wollte man
aber die Außendarstellung der Kirchen einschränken.
Eine besondere Technik, die Kirchenglocken zum Klingen
zu bringen,
ist das Beiern. Wie lange in Wollersheim schon gebeiert wird. ist
leider
nicht bekannt. Es konnten auch nur wenige Namen von Beiermännern
ermittelt werden. Nach Aussage von Christian Mersch und Hubert Dohmen
ist der älteste noch bekannte Beiermann „Schöppe Hein“ (Heinrich
Schöppen), ein hagerer großer Mann mit stattlichem Schnurrbart.
Ihm folgte als Beierer Matthias Dohmen. Ab den dreißiger Jahren beierte
dann Peter Hammerath. Nach dem letzten Weltkrieg geriet das
Beiern in unserem Dorf in Vergessenheit. Erst 1969/1970, nach der
ersten Pfarrgemeinderatswahl in Wollersheim, wurde der Wunsch laut,
die alte Tradition wieder aufleben zu lassen. Hubert Dohmen stellte
sich spontan als Beierer zur Verfügung. Regelmäßig gebeiert wird am
Weißen Sonntag und während der Fronleichnamsprozession. Dazu
kommen noch besondere kirchliche Ereignisse, wie die Einführung eines
neuen Pfarrers oder ein Bischofsbesuch.
Wie aber wird nun gebeiert? Als Fachmann beschreibt der
ehemalige
Glockensachverständige der Erzdiözese Köln, Jakob Schaeben, den
Vorgang wie folgt:
"Beim Beiern werden die Glocken nicht schwingend
geläutet, die Rhythmik der Tonfolge ist also nicht von der natürlichen
Pendelgeschwindigkeit der unterschiedlich schweren Glocken bestimmt.
Die Klöppel werden vielmehr in vorgefasstem Rhythmus gegen
die Wände der ruhig hängenden Glocken geschlagen. Zu diesem Zwecke
werden die Glockenachsen blockiert. Mit Seilen, die beim Sitz des
Spielers befestigt sind, von dort - wenn nötig über Rollen oder
Winkelhebel
- zu den einzelnen Glocken geführt und an den Klöppelfluchten
befestigt, werden die Klöppel unter Freilassung eines ganz geringen
Spielraumes gegen den Glockenschlagring gespannt. Die Seile können
so, ohne dass für die Glocke gefährdende Prellschläge zu befürchten
sind, vom Spieler mit Händen und Füßen in der geplanten
Ordnung und mit unterschiedlicher Kraft geschlagen werden: Tonfolge,
Rhythmik und Dynamik des musikalischen Vortrages hat der Spieler,
der über eine gewisse Musikalität und Beweglichkeit verfügen muss,
damit in der Hand.
Charakteristisch für das Beiern ist die ostinate Wiederholung eines
kurzen Motives. Der musikalische Effekt und die Variationsmöglichkeit
der Tonfolgen hängen von der Zahl der vorhandenen Glocken und der
Disposition ihrer Tonhöhen ab. Je mehr Glocken vorhanden, je enger
und charakteristischer die Intervalle ihrer Tonhöhen sind, um so
eindrucksvoller und origineller kann gebeiert werden".
Zum Beiern braucht man musikalisches und technisches
Geschick. Es
gehören auch Idealismus und Opferbereitschaft dazu, denn oben im
Kirchturm in der Glockenkammer ist es bei schlechtem Wetter
ungemütlich,
windig und manchmal kalt. Beiern war in früheren Jahren ein
mühseliges Unterfangen mit Loh-Knüppeln und Hanfschnur. Hubert
Dohmen verwendete erstmals Stahlseile und Umlenkrollen. Dadurch
ist die Kraftanstrengung nicht mehr so groß.
Beim Beiern erfolgt der Anschlag jeder Glocke in einem
genau festgelegten
Rhythmus. Manche singen dazu auch Texte. Als Glockensprache
bezeichnet man die Verse, die dem gleichmäßigen Beier-Rhythmus
unterlegt werden. Die Reime dieser Beierstücke weisen auf Sagen
und Begebenheiten hin oder sind auch nur witzig-humorvoll. So
lautet hier in Wollersheim ein Text: "Em Duggendahl en Sou mich
fong". (Im Duggental eine Sau mich fand.)
Einige werden sicher fragen, wie dieser Reim entstanden
ist. Nach der
Überlieferung soll vor einigen hundert Jahren eine Horde Gesindel eine
Glocke aus der Kirche entwendet haben und damit Richtung Bade-
Wald gezogen sein. Viele Jahre danach fand ein Holz- oder Beerensammler
im Duggental in einem Schlammloch die Glocke wieder. Wildschweine
hatten beim Suhlen die Glocke freigelegt. Man brachte sie in
den Turm der Kirche zurück und aus Freude darüber wurde gebeiert.
Seit diesem Tage "singen" die Glocken: „em-Dug-gen-dahl-en-Soumich-
fong“. Hubert Dohmen beierte außerdem noch nach folgen den
Texten: "Nun seid fröhlich und frohlocket" oder "Küss de net, da joon
ich, am Jadepöezje stoon ich".
Die Ehefrau des früheren Beierers Peter Hammerath war
eine geborene
Bär. Wenn er nun beierte, sangen die Wollersheimer: "Däe Bäe
däe bromp – däe Bäe däe bromp".
1992 trat Robert Jungbluth die Nachfolge von Hubert
Dohmen als Beiermann
an.
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